Letztes Jahr konnte er zu Fuss gehen, diese Jahr war es wieder eine lange Anfahrt: Tour de France 2018. Philipp Hympendahl war mit seiner analogen 6x17 Kamera in den Alpen dabei. Entstanden ist eines seiner Lieblingsmotive und ein Text: "A day at the races"
A day at the races
Auf einem Autobahn Rastplatz irgendwo in der Schweiz wachte ich auf, ich hatte in einem BMW Kombi geschlafen, den mir mein Bruder geliehen hatte, mit meinem Mini wäre alles noch härter geworden.
Auf all meinen Reisen zur Tour de France, war ich immer spontan und spät dran, aber nie war ich so spontan und so spät dran wie dieses Mal.
Erst am Vortag hatte ich entschieden die Reise zu wagen, hatte mich noch online als Fotograf registriert, Filme besorgt, Auto abgeholt und alles gepackt. Am Spätnachmittag bin ich losgefahren und fuhr, bis die Müdigkeit mich in der Schweiz stoppte.
Bis Annecy waren es am nächsten Morgen ca. 1 ½ Stunden zu fahren. Der Plan war, meine Akkreditierung abzuholen und vor dem Fahrerfeld die Strecke abzufahren, auf der Suche nach der perfekten Stelle. Planen war nie meine Stärke und Pläne gehen bei der Tour de France auch nie auf, so war es dann auch an dem sonnigen Morgen in Annecy.
Ohne Akkreditierung eine Akkreditierung abzuholen ist ein großes Abenteuer.
Den Wagen, mit teurem Inhalt musste ich weit weg parken, hatte zum Glück mein Rad dabei und fuhr entlang des Sees zu den Zelten und Ständen am Ufer. Nach Diskussionen vor Ort und Telefonat mit der Pressechefin Chloè, war klar, hier bekomme ich meinen Presseaufkleber für den Wagen und meine Pressekarte nicht, ich musste in den Zielort fahren, aber wie die Absperrungen passieren, ohne den Aufkleber.
Zu meinem Glück war der Zielort in Le Grand Bornand nicht sehr weit entfernt.
Ich vertraute auf das Naviagtiongerät meines Bruders und wunderte mich schon über die schmalen Strassen hinauf auf einen Berg. Oben angekommen gab es nur einen Wendehammer!
Ich musste den Berg komplett wieder herunterfahren. Wahrscheinlich bin ich einmal falsch abgebogen und da es keine Wendemöglichkeit gab, hat das Navi mich bis nach ganz oben geschickt.
Mein Versuch mich nicht zu sehr zu ärgern scheiterte auf dem langen Weg zurück ins Tal.
Die nächste Hürde kam in Saint Jean de Sixt, dem letzten Ort vor Le Grand Bornand in Form einer Polizeisperre: Für einen winkenden Presseausweis nimmt ein französischer Cop nicht mal die Sonnenbrille ab, deutet nur cool in die Seitenstrasse, Diskussion zwecklos, Puls trotzdem hoch.
In meinem Kampf gegen Polizei und ASO Helfer auf meiner Mission Richtung Pressezentrum kam ich mir schon vor wie ein Krimineller der auf Plan B umschalten musste, als ich mein Rad aus packte, mich umzog und Richtung Zielort fuhr.
Der Tag deutete schon an wie heiß er werden würde, als ich am letzten Kreisverkehr vor dem Ziel darauf hingewiesen wurde nicht auf der bereits abgesperrten Strecke zu fahren. So passierte ich die „flamme rouge“ langsam auf Schotter fahrend neben der unbenutzen Rennstrecke. Im Slalom fuhr ich die letzten Meter um wartende Zuschauer herum und erreichte schliesslich das Pressezentrum.
Die freundliche Pressechefin Chloè händigte mir alle wichtigen Dokumente aus.
Ich verstaute alles in meinem Radtrikot und stopfte mir das dicke Roadbook darunter, trank einen Kaffee und fuhr zurück zum Wagen. Ab jetzt musste ich mich beeilen, denn ich wollte die Fahrer oben auf den Schotterstrassen des Plateau de Glieres fotografieren und die einzige Möglichkeit dort noch hinzukommen war mit dem Rad. Ich packte einen Kamerarucksack und verstaute sowohl meine Panoramakamera mit Filmen, als auch meine Nikon mit dem 35mm Objektiv, eine im wahrsten Sinne des Wortes schwere Entscheidung.
So ging es in Raddress mit umgehängter Akkreditierung zunächst bergab, dann entlang eines weiten Tals auf einer breiten Landstrasse bis zu einer spitzen Linkskurve wo schon Polizei und Zuschauer standen, ich konnte passieren. Ich war am Fusse des Plateau de Glieres, die ersten Kurven gingen noch leicht bergan und liessen sich gut fahren, ein junger Radler ohne Gepäck überholte mich.
Als ich leicht beschleunigen wollte signalisierte mir meine Kameratasche, die nur einen Riemen hatte, der diagonal über die Brust ging, dass sie mir heute ordentlich die Luft abdrücken würde.
So ging es schwitzend und keuchend in die immer steiler werdenden Serpentinen und mir gingen schnell die Möglichkeiten aus, mit meiner rechten Hand in eine weitere Erleichterung zu schalten.
Die physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Ortes lachten mich regelrecht aus, so fühlte es sich zumindest an, als ich meinen Weg bergauf nicht mehr mit kreisenden Beinbewegungen fortsetzen konnte und vom Rad stieg. Das ich mal fitter war, wusste ich selber, aber hier ging es nicht um Kräftemessen am Berg, sondern einzig darum, mein Ziel oben auf dem Plateau noch vor den Fahrern zu erreichen, und das sah ich ernsthaft gefährdet. Der Anstieg zu steil, die Temperaturen zu hoch und meine Trinkflasche hatte sich, am Rad befestigt, im Auto heimlich geleert.
Das waren die Rahmenbedingungen unter denen ich schiebenderweise mein Rad , mich selber und die Ausrüstung noch ca. 10km bergauf bringen musste. Ein Franzose fragte mich ob ich ein Problem hätte und er meinte ein technisches, ich antwortete, ja ich hätte ein Problem: „I am the problem.“
Meine Geschwindigkeit war an einem Punkt angelangt wo man kaum noch von Bewegung sprechen konnte. Zu meinem Glück erreichte ich dann eine kleine Zwischenebene, an der sich die lokale Feuerwehr mit einigen Fahrzeugen postiert hatte. Ich gratulierte der Gruppe freundlich zum WM Titel und bat um Wasser für meine Trinkflasche: ein Problem gelöst!
Irgendwie erreichte ich noch den Gipfel, die letzten Meter auf dem Rad fahrend von Applaus begleitet, den ich nicht verdient hatte, der aber gut tat.
Auf der Hochebene angekommen, wechselte der Strassenbelag auf Schotter.
Ich fuhr noch einige hundert Meter, bis zu einer Skihütte, wo sich Zuschauer und ein paar Pressefotografen mit Crepes und kalten Getränken versorgten. Es gab einen Parkplatz und ja man hätte wohl auch mit dem Auto herkommen können, meine Info war wohl falsch.
Nach einer Cola mit Crepes, schaute ich mich genauer um und überlegte, wo der beste Spot für meine Fotos wäre. Ich fand ihn unweit der Hütte, eine ideale Stelle, um in beide Richtungen einen perfekten Blick zu haben. Jedes vorbei fahrende Auto von Sponsoren, Fernsehteams oder VIP´s liess uns Zuschauer und meine Ausrüstung in einer Staubwolke zurück.
Neben mir standen zwei junge französische Paare die nach Beobachtung schrien: die Männer hatten sich aus dem Karton von Weinschläuchen Masken gemacht, die ihre Köpfe bedeckten.
Der eine hatte unten herum nur eine bunte, zerrissene Boxershort an und klappte zum Rauchen und trinken jeweils das Pappvisier seiner Kartonmaske hoch. Mit einem breiten Grinsen empfing er seine Narkotika. Sie kifften, tranken Rotwein und hatten Spaß.
Plötzlich wurde es unruhig, eine Amada von fünf Helikoptern flog wie an einer Schnur gezogen aus dem Tal kommend auf uns zu und landete unweit auf einer Wiese.
Es dauerte auch nicht mehr lange, bis eine entfernte Staubwolke die ersten Fahrer ankündigte.
Adrenalin breitete sich in meinem Körper aus, die Zeit der Vorbereitung war vorbei, jetzt wurde gehandelt. Die Fans wurden lauter und ich verschwand in meinem Tunnel aus Konzentration und Anspannung. Die lange Anreise, die Vorbereitung, die Kosten und Strapazen, alles für diesen kurzen Moment, an dem ein paar Radfahrer an einem vorbei fahren, das ist doch Wahnsinn.
Damit es sich lohnt, musste jetzt alles zusammen laufen:
ich schoss die ersten Bilder, wechselte zu meiner Panoramakamera, wissend nur vier Bilder auf dem Film zu haben. Nach dem manuellen Auslösen schnell das Sichtfenster auf der Rückseite öffnen und weiterkurbeln bis die 6 erscheint. Fast ist der Film voll, soll ich wechseln oder dauert das zu lange. Ich entscheide mich mit der Nikon weiter zu fotografieren. Zwischen den einzelnen Fahrern
rollten Autos und Motorräder nur wenige Zentimeter an meinen Füssen vorbei und wirbelten weiteren Staub auf. Plötzlich sah ich das gelbe Trikot, schaffte es noch mit der manuellen Kamera ein Foto zu schiessen, ob es gelang werd ich in einer Woche erfahren.
Wie ein langsamer Tsunami rollte die Karavane aus Radfahrern und der motorisierten Begleitung über den Berg, bis schliesslich der weisse Besenwagen das Ende ankündigte und mich leer und erschöpft zurück liess.